Wie Mücken im ersten Morgenlicht fliegen plötzlich Schwalben über die Bergkuppen der sanften Hügel am Çildir Gölü. Uferschwalben (Riparia riparia) umschwirren geradezu die Höhen auf Nahrungssuche. Kleine Mücken sind aus den Ufergewässern um die Hügel aufgestiegen und bieten nun die ersehnte Zwischenmahlzeit auf dem Weg in die Überwinterungsgebiete in Afrika. Die Massen an Uferschwalben – dazwischen auch ein paar Rauchschwalben (Hirundo rustica) – sind überwältigend. Ich habe den Eindruck, der Strom an Schwalben, die ankommen, sich an den Mücken vollfressen und dann weiterfliegen, endet überhaupt nicht. Es sind immer noch viele, viele Mücken unterwegs. Nach gut einer Stunde – die Sonne steht inzwischen schon hoch am Himmel – ist die Show weitgehend vorbei.
Nun kann ich mich den anderen Vögeln auf dem Zug widmen. Der erste Neuntöter (Lanius collurio) läßt nicht lange auf sich warten. Die erste Grasmücke ist hinter mir zu hören. Wenig später sehe ich eine Dorngrasmücke (Sylvia communis), die da wohl auch gerufen hat. Wunderschön sitzt ein Ortolan (Emberiza hortulana) auf einem Stengel im ersten Morgenlicht. Ein Pieper ist noch zu bestimmen. Das ist dann wohl ein Baumpieper (Anthus trivialis). Die Neuntöter werden immer mehr. Sie besetzen nun praktisch jeden Hagebutten-Busch. Nach einer Weile kann ich mich losreißen
Der angepflanzte Kiefernhain ist erstaunlich produktiv. Ich klappere im Auto den Waldsaum ab, der nun im morgendlichen Sonnenlicht steht. Das zieht die hier rastenden Zugvögel in Massen heraus. Geduldig stelle ich mich mit dem Auto in kurzer Entfernung von den Kiefern hin und warte einfach. Schnell kommen etliche (5) Grauschnäpper (Muscicapa striata), ein Fitis (Phylloscopus trochilus) und eine Gartengrasmücke (Sylvia borin). Auch ein Weibchen vom Gartenrotschwanz (Phoenicurus phoenicurus) und mindestens 1 Blaßspötter (Hippolais pallida) sind zu sehen. Ein Zilpzalp kommt ebenfalls mal aus der Kiefernkrone herunter. Gut sind die schwarzen Beine zu erkennen. Der wirkt jetzt wirklich sehr braun. Es wird sich also doch um den Berg-Zilpzalp oder Kaukasuszilpzalp (Phylloscopus sindianus) handeln.
Ein wenig will ich noch weitere Gebüsche kontrollieren. An einer dicht bewachsenen Hecke treibt sich hart rufend immer Sprosser (Luscinia luscinia) herum. Genau wie an einem Vortag zeigt er sich aber nicht. Nach ein wenig locken, lasse ich von ihm ab, denn inzwischen habe ich ein viel lohnenderes Ziel gefunden: im dornigen Strauch schlüpft eine Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria). Die kann ich ausgiebig ablichten. Dann sehe ich auch eine – mir sehr hell erscheinende – Klappergrasmücke (Curruca oder Sylvia curruca). Damit könnte es sich um althaea-Klappergrasmücke (Curruca curruca althaea) handeln, die vom südlichen Kasachstan (den Karataubergen) in Süd-Turkmenistan und im Nordosten des Iran bis östlich zum Tien Shan vorkommt. Zum Abschluß ist noch ein junges Braunkehlchen (Saxicola rubetra) sehr schön auf einem Felsbrocken zu fotografieren. Eine Auswahl der Singvögel auf ihrem Vogelzug am Cildir Lake in der Ost-Türkei ist in der entsprechenden Galerie „Zugvögel Cildir Lake 2022“ zu sehen.
Der Çildir Gölü in der Provinz Ardahan ist mit 1.959 m NN einer der höchst gelegenen Süßwasserseen in der Türkei. Außerdem ist er nach dem Van See der größte See Ostanatoliens. Umgeben von den Bergen Kisir Dagi und Akbaba Dagi bedeckt der See eine Fläche von mehr als 120 km². Ganz in der Nähe liegen die Grenzen zu Armenien und Georgien. Es war erstaunlicherweise während unseres Aufenthalts an 3 Tagen kein einziges Boot auf dem See zu sehen. Auch Angler oder Fischer haben wir nicht notiert. Ich vermutete, daß das Wasser doch stark salzhaltig sei. Dann wieder hörte ich, daß das Wasser des Sees zur Bewässerung in der Landwirtschaft genutzt würde. Entsprechende Bewässerungssystems waren aber auch nicht erkennbar. Ein Zufluß in den See findet wohl am Westende statt, ein Teil des Seewassers fließt außerdem durch einen Bach in Richtung Schwarzes Meer ab. Der Çildir Gölü bietet mit seiner kargen Schönheit in einer offenen Hügellandschaft einen wunderschönen Anblick. Viele Touristen scheint es nicht hierher zu ziehen. Das ein oder andere Ausflugslokal am See war Anfang September verwaist; ein Restaurant am Westende nur wenig besucht.
Seine einzigartige Lage zwischen Europa und Asien macht die Türkei zu einem beliebten Ziel für Zugvögel, die den Winter in Afrika verbringen, bevor sie dann für die Brutsaison im Sommer nach Europa aufbrechen. Die Feuchtgebiete im östlichen Anatoliens sind wohl genau Treffpunkte für die Vogelschwärme wie die deutlich bekannteren Vogelschutzgebiete um den Bosporus. Sie werden nun bei weitem nicht so häufig und intensiv von Ornithologen besucht. Dabei lohnt es sich auch hier die Vögel, die sich vor ihrem langen Flug von Nord-Europa hier auf dem anatolischen Plateau ausruhen und stärken, zu suchen und zu fotografieren. Zehntausende Vögel verschiedener Arten ziehen im Herbst von Europa nach Afrika bevor sie im Frühjahr auf derselben Route in die Brutgebiete zurückkehren.
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