Zugvögel auf dem Weg in die Arktis: Gambell Anfang Juni

DickschnabellummeHörbar und spürbar nimmt das Flugzeug Kontakt mit dem Boden des Rollfelds auf. Aus den Fenstern können wir die Berge der sibirischen Küste im Norden sehen. Ich schätze die Entfernung auf 70 km oder so. Die Wetterprognose sagte aus, daß wir Winde mit Geschwindigkeiten von 30-70 km / h aus dem Norden bekommen würden. Nicht unbedingt ein gutes Zeichen, um Vögel auf der Insel zu beobachten. Schon während wir das Flugzeug verlassen, bläst uns der Wind brutal und eiskalt ins Gesicht. Langsam machen wir uns mit dem Gepäck auf den Weg zum Hotel, dem Sivuqaq Inn. Überall liegen Kieselsteine bis in den Ortsbereich. Das sieht nicht alles andere als wanderfreundlich aus. Zum Glück dürfen wir ab jetzt ATV (All-Terrain-Vehicles) verwenden.

Das Dorf Gambell scheint keinerlei Vegetation aufzuweisen. Auf Anhieb wirken viele der Häuser baufällig. Die Außenverkleidung der Holzhäusern sieht man die Auswirkungen der Meeresluft wirklich an. Wir machten uns auf den Weg in Richtung Strand, der zuerst durch den sogenannten “boatyard” geht. Immerhin ein Gebiet mit etwas Gras, in dem viele Bootsrümpfe zu sehen sind, die entweder nie vollständig zusammengebaut worden sind oder sich bereits wieder im Zerfallsprozess befinden. Als wir den Strand erreichen, bekommen wir die Auswirkungen des Sturms voll zu spüren. Es schien, dass die Winde mit locker um die 65 km /h bliesen. Das bedeutet, einen stürmischen Wind mit der Stärke 8 auf der Beaufort (Bft) -Skala. Und es war ein Nordwind. Er bringt die kalte Luft über dem Packeis herunter in diese Gefilde.

Die Vogel-Aktivität jedoch war, trotz des Sturms, oder vielleicht gerade deswegen, einfach fantastisch. Es dauert ein wenig um die Spektive im Wind auf den konstanten Zug der Vögel entlang des Ufers zu justieren. Zuerst fielen Lummen, und zwar Trottellumme (Uria aalge), Dickschnabellumme (Uria lomvia), auf. Dann, auf einmal waren weitere kleine  Alken bzw. Alziden zu sehen, recht kleine Vögel, die häufig in Gruppen fliegen und sich mit schnellem Flügelschlag bewegen. Massen an Rotschnabelalken (Cyclorrhynchus psittacula) und Schopfalken (Aethia cristatella) waren zu sehen.

Es gibt insgesamt drei verschiedene Alkenarten hier. Davon sind die Schopfalken sicherlich in der Mehrheit, zumindest sieht es vom Strand so aus. Sie erscheinen wie schwarze Schatten, völlig dunkel ist, wenn auch nicht ganz schwarz. Bei intensiverer Betrachtung entdeckt man dann das Orange auf ihren Schnäbeln. Die Rotschnabelalken sind weniger häufig und zeigen deutlich mehr Kontrast. Auch hier weisen die Schnäbel eine orange Farbe auf. Dazu haben sie weiße Bäuche. Interessant ist, daß Rotschnabelalken damit deutlich größer erscheinen, obwohl sie nur geringfügig größer sind. An dem Nachmittag konnten wir keine der noch auf St. Paul so häufigen Zwergalken (Aethia pusilla)sehen.

Richtig häufig sind natürlich auch Möwen. Die vorherrschende Spezies ist hier die Eismöwe (Larus hyperboreus). Groß, massig und praktisch komplett weiß. Noch häufiger flogen Dreizehenmöwen (Rissa tridactyla), die sich von den Eismöwen durch ihre geringere Größe und die auffälligen, schwarzen Flügelspitzen unterschieden. Manchmal waren auch ihre schwarzen Beinen zu erkennen. Auch diese haben im Grunde weiß oberen Flügel. Eine größere Möwe ist dann wieder die Ostsibirienmöwe (Larus vegae), die manchmal auch als (Vega-)Unterart der Silbermöwe angesehen wird. Diese haben ähnlich wie die europäische Silbermöwe (Larus argentatus) dunklere, graue Flügel. Schon zu sehen war die Schwalbenmöwe (Xema sabini). Alle Birder hatten aber vor allem ein Ziel. Das war die Kamtschatkamöwe (Larus schistisagus). Sie weist ganz schwarze Flügel mit einer deutlichen weißen Hinterkante auf. Nachdem wir den ganzen Nachmittag am Strand gestanden hatten, und schon beim Zurückgehen waren, entdeckten wir eine schöne erwachsene Kamtschatkamöwe zusammen mit einem Exemplar im Jugendkleid.

Von Zeit zu Zeit zogen auch Kormorane durch. Diese waren der Rotgesichtscharben (Phalacrocorax urile). Gegen die glitzernde See hoben sie sich als fast völlig schwarze, mit Bleistiftartigen Hälsen versehen, langezogene Streifen ab. Seeenten wie Eisenten (Clangula hyemalis), Höckerschnabelenten (Melanitta deglandi) oder Kragenenten (Histrionicus histrionicus) zogen in überraschend hohem Tempo im Tiefflug über die raue See. Einmal war auch eine Spießente (Anas acuta), auf 20 Meter Entfernung hastig vorbei ziehend, zu sehen. Eiderenten stehlen anderen Enten in der Regel die Show. Dazu gehören schon die „normalen“ Eiderenten (Somateria mollissima), die man schon an der Nordseeküste häufig sehen kann. Ich hatte ja schon die Beringsee Norwegens im Februar besucht. Daher waren die Prachteiderente (Somateria spectabilis) und selbst die Scheckente (Polysticta stelleri) nicht an so prominenter Stelle auf der Birdlist, wie das für meine amerikanischen Kollegen der Fall war. Das Target Bird überhaupt aber war auch eine Eiderente, die Plüschkopfente (Somateria fischeri). Ok, an diesem Nachmittag brachte die Meeresbeobachtung aber sowieso keine Eiderenten. Die besten Vögel – der Mehrheitsmeinung nach – war ein Paar Prachttaucher (Gavia arctica), das für ein großes Hallo bei meinen USA-Birdern führte als es nicht allzu weit vom Spülsaum tief über die aufgewühlte See flog.

Was für ein erster Tag entlang des “sibirischen Express-Highways“!

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