Die Bäume sind kahl, das braune Laub liegt auf dem Waldboden. Verirrt sich der Wanderer im Wald in eine kleinen Sumpf, der dicht mit Laub bedeckt ist, kann es passieren, dass urplötzlich ein Tier direkt vor den Wanderschuhen auffliegt und zwischen den Baumstämmen elegant entschwindet. Das kryptische Federkleid von Waldschnepfen (Scolopax rusticola) ähnelt dem abgefallener, verrottender Blättern des Waldbodens so sehr, dass die meisten Sichtungen der Waldschnepfen im Winterhalbjahr in der Regel erfolgen, wenn die Vögel aus nächster Nähe wegflitzen. Durch das kryptische Gefiedermuster und das insgesamt ruhige Verhalten sind sie nur sehr schwer zu erkennen. Waldschnepfen sind Teil der Brutavifauna unseres Landes. Der Herbst bzw. Winter bietet jedoch vielleicht die beste Chance, diese zurückgezogen lebende Art zu sehen, wenn zusätzlich ankommende Zugvögel landen. So ist es vor einigen Tagen im Schwarzes Luch am Schwielochsee im östlichen Brandenburg geschehen, als eine Waldschnepfe in Kiefernaltholz aufgescheucht wurde. Trotzdem haben selbst die am besten ausgebildeten Ornithologen Schwierigkeiten, sie bei Tageslicht zu finden. Vögel werden normalerweise beim Gehen in Wäldern aufgescheucht, können aber auch zu Beginn der Brutzeit ihre Balzflüge – bekannt als “Schnepfenstrich” – durchführen.
Obwohl die Waldschnepfe recht heimlich ist, ist sie ziemlich verbreitet, und obwohl sie zur Familie der Watvögel (Scolopacidae) gehört, watet die Waldschnepfe wahrscheinlich am wenigsten von allen einheimischen Vertretern dieser Gruppe. Das Betrachten eines Rätselvogels ist immer unvergesslich, vielleicht sogar noch mehr in der Abenddämmerung im atmosphärischen Übergang zwischen Tag und Nacht. Das gilt vor allem im langen Sonnenuntergang des Frühsommers. Dann, wenn das Licht verblasst und Eulen zu rufen beginnen, kann man den einzigartigen Grunz- und Quietschrufen lauschen und warten bis eine silhouettierte Form eines plumpen Vogels mit hängendem Schnabel am Abendhimmel erscheint. Das ist dann die Waldschnepfe auf ihrem Schnepfenstrich.
Die Zahl der Waldschnepfen in Deutschland wird durch Einwanderer aus den kälteren Teilen Nord- und Osteuropas erhöht, die hier den Winter verbringen. Dieser fast unsichtbare, aber potentiell nicht unerhebliche Zustrom kommt meist Anfang November an. Es wird traditionell gesagt, dass die Migration bei Vollmond am höchsten ist. Die Neuankömmlinge erkunden Wintergebiete. Diese finden sich häufig in Misch- und Nadelwäldern aber auch gar nicht so selten in ziemlich trockenen Laubwäldern mit einem feuchten, bedeckten Boden in der Nähe, um sich zu ernähren. Insgesamt ist die Waldschnepfe aber kein leicht zu erkennender Vogel, da sie sowohl nachtaktiv als auch heimlich ist. Die Waldschnepfe liegt tagsüber tief in ihrem meist dicht mit Blättern überdeckten Waldlebensraum. Sie ist perfekt getarnt durch ihr wunderschön gemustertes Gefieder. Auf kurzen Beinen laufend und hüpfend, tastet sie mit ihrem langen Schnabel den Boden nach Regenwürmern und anderen unterirdischen Wirbellosen ab. Die Augen der Art sind hoch und weit zurück auf den Kopf gerichtet, was ihr eine 360-Grad-Sicht ermöglicht. Das bedeutet, dass eine Waldschnepfe den Wanderer mit ziemlicher Sicherheit sieht, bevor man sie selber sieht. Die Augen der Waldschnepfe haben sich im Laufe der Evolution so entwickelt, dass sie sich nach hinten und oben am Kopf befinden, vermutlich teilweise, um die großen, zerbrechlichen Organe vor Schäden durch Vegetation zu schützen, wenn sie den Boden untersuchen. Die ungewöhnlich Größe und die Position seiner Augen geben der Waldschnepfe eine 360-Grad-Sichtfeld, was es nicht nur dem Beobachter sondern auch Prädatoren schwer macht, die als Nahrung geschätzte Art zu überraschen. Der Vogel hat tatsächlich wohl eine bessere Sicht nach hinten als nach vorne.
Die Schnepfe bei der ersten Begegnung näher zu sehen, scheidet also eher aus. Im Grund wird jeder Beobachter so erschrocken sein, weil man unerwartet unter seinen Füßen Bewegung verspürt. Man fühlt sich versehentlich auf den Vogel tretend. Aber wenn man den flinken und trotzdem eleganten Zick-Zack-Flug genau verfolgt, kann man sehen, wo der Vogel landet. Wenn die Waldschnepfe nicht zu weit entfernt niedergeht, kann man sein Glück nun mit einer Vorwarnung noch einmal versuchen. Den Blick nach unten gesenkt und vorsichtig Schritt für Schritt laufend, kann man den still sitzenden Vogel am Boden suchen und vielleicht auch fotografieren.
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